Kürzlich stieß ich im Internet auf einen Artikel der TAZ, in dem bemängelt wird, dass die Kunst in Bezug auf das aktuelle Zeitgeschehen ihren Job nicht mache. In der Kritik stehen vor allem die Macher von Filmen und Serien, die das Thema Corona-Pandemie und seine Folgen quasi ausklammern oder nur beiläufig behandeln würden. Der konkrete Vorwurf lautet, man flüchte sich in Nostalgie, anstatt sich mit aktuellen Themen auseinanderzusetzen. Aus meiner Sicht eine stark vereinfachte und einseitige Darstellung darüber, was nun die Aufgabe der Kunst sei. Die Wahrheit ist: Kunst ist nicht nur schön, sondern auch komplex. Kunst lässt sich nicht sagen, was sie wann zu tun und wie sie es zu tun hat. Denn würde sie das, dann wäre sie bestenfalls eine konstruierte Kunst. So etwas kann niemand ernsthaft wollen. Und noch eine wichtige Komponente lässt die Autorin völlig außer acht: Kunst braucht Zeit.
Kunst bedient Sehnsüchte
Der in Bezug auf das Zeitgeschehen kritisierte Eskapismus ist genau das, wonach sich die Menschen aktuell sehnen. Ein Lichtblick zwischen all den endlosen Katastrophenmeldungen und zerstörten Perspektiven, der uns über die letzten beiden Jahre gerettet hat. Ja, die Pandemie hat uns verändert und die Kunst wird dies zu gegebener Zeit behandeln, wenn das Thema in den Köpfen gereift ist und lange genug reflektiert wurde. Kunst ist eben Kunst und kein Livestream. Für die akute Behandlung des Zeitgeschehens gibt es Medien und Nachrichtensender, die ihre Aufgabe in den vergangenen zwei Jahren teilweise mehr schlecht als recht betreut haben. Die Pandemie hat das Schlechteste im Menschen hervorgebracht und das an allen Fronten. Ob freiheitsfanatischer Verschwörungstheoretiker, linientreuer Denunziant oder irgendetwas dazwischen; sie alle werden in der Literatur ihre Würdigung erfahren.
Flucht vor dem Zeitgeschehen
Man muss den Schaffenden die Zeit geben, sich vom Schock des teils belastenden oder sogar traumatisierenden Erlebten zu erholen. Erst nach der Verdrängung folgt die Aufarbeitung. Wann der richtige Zeitpunkt dafür ist, legt jeder individuell für sich fest. Noch heute werden in Kunst und Literatur Themen wie der Zweite Weltkrieg, das Leben in der DDR oder noch viel weiter zurückliegende Phasen vergangenen Zeitgeschehens behandelt. Die Flucht vor der Realität ist ein natürlicher Schutzreflex und die Aufgabe der Kunst ist es, uns dabei zu helfen, diesen auszuleben. Diese Fluchtmöglichkeit hat uns vor Schlimmerem bewahrt. Gäbe es sie nicht, so wären die Kollateralschäden der Pandemie und ihrer Maßnahmen wohl noch um einiges drastischer ausgefallen. In spätestens einigen Jahren werden wir auch in der Belletristik darüber lesen können oder uns eine entsprechende Serie dazu ansehen.
Ein „Früher-war-alles-besser-Feeling“ dürfte dabei dann allerdings kaum noch aufkommen. Eher ein „Endlich-haben-wir-diese-Scheiße-hinter-uns-Gefühl“. Oder: Wir haben überlebt, der Kunst sei dank. Diese macht nämlich ihren Job und das sogar verdammt gut.