Immer wieder entbrannten in den letzten Jahren hitzige Diskussionen darüber, was man noch sagen oder schreiben dürfe und was nicht mehr. Wieder einmal dient das Internet hierbei als Multiplikator. Im Zentrum der Kritik steht vor allem der Mangel an politischer Korrektheit bei der Verwendung bestimmter deutscher Begriffe. Scherzhaft bis abwertend werden die Treiber dieser Entwicklung als „Sprachpolizei“[1] bezeichnet. Bereits in vergangenen Artikeln setzte ich mich mit sprachlichen Trends auseinander. Dabei kam ich zu dem Schluss, dass überhaupt nichts gegen die Weiterentwicklung des Deutschen spricht; sofern diese eine mehrheitliche Akzeptanz findet und sich die Neuerungen problemlos in die Sprache einfügen lassen.
Aber wer ist denn nun die sogenannte Sprachpolizei und was will sie? Vorwiegend umfasst das Phänomen Menschen aus der jüngeren Generation, auch Generation Z[2] genannt, und des linken Spektrums. Nicht selten handelt es sich dabei um die Mitglieder elitärer Kreise oder auch jener, die sich dafür halten. Das Bewusstsein für die Benachteiligung und Diskriminierung von Minderheiten ist hier besonders ausgeprägt.
Die modernen Sittenwächter
Der Einfachheit halber werde ich sie im weiteren Verlauf dieses Beitrags Sprachpolizei nennen. Tatsächlich warten moderne Sittenwächter zur Bekämpfung des Ungemachs mit einer ganzen Litanei an Schlagwörtern auf. Die meisten davon sind Anglizismen. Von Blackfacing[3], Bodyshaming[4], kultureller Aneignung[5], Rassismus in Kinderbüchern[6] und Whataboutism[7] (absolut schräge Wortschöpfung) ist die Rede. Die Gegner dieser Weltanschauung halten mit Kampfbegriffen wie Woke-Bubble[8], Social Justice Warrior[9] oder Cancel Culture[10] dagegen. Tatsächlich ist die Woke-Bewegung jedoch keine neuzeitliche Erscheinung, sondern existiert bereits seit den 1930er Jahren[11]. Die hatte wiederum zum Ziel, die gesellschaftliche Benachteiligung von Schwarzen Menschen in den USA sichtbar zu machen. Und die lässt sich wohl kaum wegleugnen. Also macht die ursprüngliche Idee von „Stay woke“ tatsächlich auf ein gravierendes Problem aufmerksam, welches auch heute noch immer existiert.
Menschen alleine aufgrund ihrer Hautfarbe zu benachteiligen ist grausam und ungerecht. Deshalb ist es auch völlig in Ordnung, dass herabwürdigende Begriffe wie „Neger“ inzwischen im salonfähigen Sprachgebrauch keinen Platz mehr finden. Nun, mir ist das klar. Aber kann man das wirklich für alle voraussetzen? Ich bin in der oberbayerischen Provinz aufgewachsen, wo der „Neger“ lange Zeit als Getränk auf den Speisekarten von Lokalen stand und teilweise auch heute noch zu finden ist[12]. Gemeint ist damit ein Mischgetränk aus Cola und Weißbier, das die scherzhafte Bezeichnung wohl aufgrund seiner dunkelbraunen Färbung erhielt.
Das darf man als rassistisch bezeichnen, auch wenn mit Sicherheit nicht die Bösartigkeit dahinter steckt, wie sie von den Vertretern der Sprachpolizei oftmals unterstellt wird. Ich würde es eher Gedankenlosigkeit oder mangelndes Feingefühl nennen. Dagegen helfen allerdings kein laut-aggressives Maßregeln und auch keine Ächtung, sondern vor allem Aufklärung und ein offener Diskurs. Ähnlich verhält es sich beim Wort „Zigeuner“, welches in verschiedenen Formen, etwa als „Zigeunerschnitzel“ oder „Zigeunersoße“ zum Einsatz kommt. Auf den ersten Blick ist das damit verbundene Unrecht für viele überhaupt nicht sichtbar.
Diskriminierende Begriffe werden oft aus Unwissenheit verwendet
Auch ich war lange der Meinung, dass es sich dabei um einen wertneutralen Begriff handele. Beschäftigt man sich allerdings näher mit der Thematik, so wird schnell klar, dass dem Ausdruck Zigeuner bereits seit Jahrhunderten ein diskriminierendes Stereotyp anhaftet[13]. Die Konnotationen des Wortes reichen von „Ziehgauner“ bis hin zu „Abschaum“. Vor diesem Hintergrund ist es einleuchtend, warum etwa Angehörige der Sinti und Roma diese Bezeichnung als beleidigend oder gar entwürdigend empfinden. Das Problem ist, dass im mundartlichen Gebrauch solche Zusammenhänge oft gar nicht erst hergestellt werden, weil dafür überhaupt kein Bewusstsein existiert. Ist es also gerechtfertigt, den Anbieter eines Zigeunerschnitzels pauschal als Rassisten abzustempeln?
Nein, sicherlich ist das nicht der Fall. Genau hier zeigt sich eine eklatante Schwäche der Sprachpolizei. Anstatt mit einem aufklärenden Charakter zu arbeiten, führt diese von oben herab eine überzogene Diskussion mit belehrendem bis autoritärem Gehabe. Sie arbeitet dabei ebenso mit Stereotypen, nur eben vom Rechten, vom Fascho oder vom ungebildeten Deppen. Dadurch führt sie ihr eigentliches Ansinnen ad absurdum, weil sie lieber emotionsgeladen anstatt sachlich argumentiert. Die arrogante Annahme, für sich per se eine Moralhoheit zu beanspruchen, tut ihr Übriges. So kommen wir nicht weiter, denn zielführend ist das nicht. Am zünftigen Stammtisch im Wirtshaus wird sich ohnehin kaum jemand darum scheren, ob ein Begriff nun politisch korrekt ist, oder nicht. Allerdings bleibt das Gesagte dort auch meist im Dunstkreis einer geschlossenen Gesellschaft und dringt gar nicht erst zu den Ohren etwaiger Betroffener vor.
Fehler müssen erlaubt sein
Wer sich öffentlich äußert oder in einer Runde, deren Mitglieder er nicht gut kennt, der sollte dringlichst von der Verwendung solcher Begrifflichkeiten Abstand nehmen. Amtsträgern und Personen des öffentlichen Lebens obliegt hier ohnehin eine besondere Sorgfaltspflicht. Wenn jemandem nun doch mal so ein Wort herausrutscht, sei es aus Unachtsamkeit, Unwissenheit oder mangelnder Sensibilität, sollte nach einem höflichen Hinweis stets die Möglichkeit der Rehabilitation durch eine Entschuldigung gegeben sein. Ich habe in der Vergangenheit ebenfalls viel Zeug gesagt oder geschrieben, von dem ich mich heute distanziere. Auch wenn ich eine gewisse Grenze dabei nie überschritten habe. Heute betrachte ich es als Teil meiner persönlichen Entwicklung. Absolution erbitte ich dafür von niemandem; die gebe ich mir selbst.
Die Notwendigkeit einer Sprachpolizei
Tatsächlich ist es so, dass die meisten Verwender solcher Begriffe dies unbewusst tun. Entweder weil sie sie als sprachliches Kulturgut verorten oder sie überhaupt nicht in einem negativen Kontext verwenden. Die Wenigsten wollen damit wirklich jemanden verletzen oder verächtlich machen. Die daraus resultierende Unterstellung dessen führt eben zu den Konflikten mit der sogenannten Sprachpolizei, deren Umtriebigkeit laut einer Umfrage aus 2019[14] immerhin fast zwei Drittel der Deutschen ablehnen. Zudem ist es naiv, zu glauben, man könne teils Jahrhunderte alte Begriffe von heute auf morgen aus einer lebendigen Sprache tilgen. Auch wenn diese eine noch so belastete Historie haben mögen. Sprachliche Veränderung braucht Zeit und das manchmal sogar über mehrere Generationen[15]. Das führt uns zu einem weiteren Problem der Sprachpolizei: sie erkennt ihre eigenen Erfolge nicht. Die Verwendung der im Beispiel genannten Begriffe ist in der breiten Bevölkerung bereits verpönt und damit rückläufig.[16][17]
Man kann davon ausgehen, dass diese in einigen Generationen vollständig verschwunden sein werden. Eine Ausnahme bilden rechte Kreise, die diese absichtlich verwenden. Die beleben allerdings auch bewusst Nazi-Vokabular[18] wieder, das längst nicht mehr zum Sprachgebrauch gehört oder gehören sollte. Hier zeigt sich die wahre Notwendigkeit einer Sprachpolizei in Form der Gegenbewegung. Würde sie sich auf diesen Kernbereich beschränken, wären viele erbitterte Debatten wohl gar nicht erst aufgeflammt. Eine weitere Schwäche der Sprachpolizei offenbart sich nämlich in deren mangelnden Willen zur Differenzierung. So wird das Zigeunerschnitzel gerne auf die gleiche Stufe gestellt, wie die „Rasse“, der „Volksverräter“ oder die „Endlösung“. Selbst wenn ich mir beim Wirt ein Zigeunerschnitzel bestelle, bedeutet dies noch lange nicht, dass ich einen Angehörigen der Roma jemals so bezeichnen würde. Ob mir das Schnitzel beim Gedanken an die Historie dieser Bezeichnung dann überhaupt noch schmeckt, steht auf einem anderen Blatt.
Das Problem der inflationären Maßregelung
Das ist es, was man unter einer völlig überzogenen Diskussion verstehen kann. So wird inzwischen nicht nur jedem dritten Sternsinger Rassismus durch Blackfacing[19] angelastet, sondern auch das Tragen von Dreadlocks oder die Verwendung eines Bumerangs als kulturelle Aneignung ausgelegt[20]. Sich im Fasching als Ind… äh Native American[21] verkleiden? Lieber nicht mehr. Der gute alte Meister Eder und sein Pumuckl? Sexistisch![22] TKKG? Ok, von gestern.[23] Geschenkt. Oder ich darf einen Wahnsinnigen nicht mehr als solchen bezeichnen, weil ich dadurch psychisch Kranke diffamiere. Und das wäre wohl schon ziemlich unwoke. Auch wer die Gendersprache offen ablehnt läuft Gefahr, sich im Fadenkreuz eines linken Shitstorms wiederzufinden. Manche haben es sich gar zur Lebensaufgabe gemacht, in jeder Suppe geradezu pathologisch nach einem kleinen Härchen zu suchen, auf dessen Basis sie dem Gegenüber xenophobe Motive andichten können. Die eigentlich berechtigte und wichtige Diversity-Debatte driftet somit ab, verliert sich in Trivialität und Haarspalterei.
Dem haftet der schale Beigeschmack von Verbitterung, Kleinkariertheit und damit einhergehender inflationärer Maßregelung an. Durch solche Beispiele fällt es schwer, die Vertreter derartiger Ansichten überhaupt noch ernst zu nehmen. Demnach könnte ich es zukünftig auch als kulturelle Aneignung betrachten, wenn der australische Tourist in traditioneller bayerischer Tracht aufs Oktoberfest kommt. Schließlich bin ich als Bayer Teil einer Minderheit in einem von Preußen annektierten Land. Historisch gesehen ist das natürlich nicht ganz korrekt[24][25]. Zudem stünde da alleine schon das Motto „Leben und leben lassen“ entgegen. Hier wäre ein Aufeinanderzugehen anstatt militanter Kampfeslust als besserer Weg anzusehen. Die konservative Ecke sollte manchmal mehr Verständnis für die Verletzlichkeit marginalisierter Gruppen zeigen; im Gegenzug sollten die modernen Sittenwächter einmal von ihrem hohen Ross herabsteigen. Sie können nicht voraussetzen, dass sich jeder Mensch innerhalb ihrer eigenen Blase bewegt.
Friendly Fire
Manchmal geraten in all dem Eifer sogar die eigenen Reihen vors Korn. So schaffte es Anfang 2021 der linkstendenziöse Satiriker und Politiker Martin Sonneborn unwillentlich in den Fokus der Sprachpolizei. Durch ein bedrucktes T-Shirt mit einem in asiatischem Akzent gehaltenen Spruch löste er einen Affront aus. Später entschuldigte er sich dafür[26]. Den Autor und Kabarettisten Serdar Somuncu, der im Jahr 2017 noch für Sonneborns Partei als Kanzler kandidierte[27], ereilte zuvor ein ähnliches Schicksal[28]. Somuncu selbst beruft sich auf die Satirefreiheit. Auch die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht musste unter anderem nach der Kritik an den „Lifestyle-Linken“[29] so einiges einstecken. Denn eine Beanstandung außerhalb ihres Spektrums scheint den sich sonst so tolerant inszenierenden Linksliberalen überhaupt nicht gut zu munden. Gut, dass die Frau sich zu wehren weiß und den meisten ihrer Gegner rhetorisch wie argumentativ haushoch überlegen sein dürfte.
Verwendung „verbotener Begriffe“ in der Belletristik
Auch als Autor muss man sich zwangsläufig mit solchen Themen auseinandersetzen. Wie bereits an anderer Stelle festgehalten, gilt in der Belletristik die Kunstfreiheit. Was die Verwendung von belasteten Ausdrücken betrifft, gibt es hier, je nach Kontext, kein zwingendes Tabu. Spielt ein Roman beispielsweise in der Zeit des Dritten Reichs, so können sie zur authentischen Darstellung des Bösen, Menschenverachtenden sogar erforderlich sein. Oder sie dienen zur Verbildlichung des Unkultivierten, Tölpelhaften einer Romanfigur. Einen fiktiven Rassisten zu erschaffen, der sich entsprechenden Vokabulars bedient, ist also weiterhin nicht verboten. Auch den Akzent einer Figur sprachlich darzustellen ist erlaubt. Alles andere würde einen Eingriff in die literarisch-künstlerische Freiheit darstellen. Dadurch begäbe sich die Sprachpolizei auf sehr dünnes Eis, was wiederum der kontrovers diskutierten Hufeisentheorie[30] in die Hände spielen würde. Und das wollen sie sicher nicht.
Aber wie verhält es sich mit Werken, die schon 100 Jahre oder länger existieren? Klassiker wie Winnetou oder Robinson Crusoe werden immer öfter Mittelpunkt von ideologischen Debatten und Rassismus-Vorwürfen. In der Tat sind diese in ihrem Sprachschatz von kolonialer Gewaltherrschaft und vorgestrigem Vokabular geprägt. Sie entstammen einer Zeit, in der das Bewusstsein für Unrecht und Entmenschlichung gegenüber nicht-weißen Ethnien noch ein anderes war, als in unserer modernen Gesellschaft. Die längst verstorbenen Autoren waren letztendlich auch nur Geister ihrer Zeit. Ihre Werke sind daher als Zeugnisse dieser zu betrachten. Sie jetzt zu ändern käme nicht nur dem Versuch gleich, Geschichte auszuradieren zu wollen, sondern auch einer Zensur. Wer ist in der Position, sich so etwas anzumaßen? Ob man seinen Kindern solche Bücher nun unkommentiert zum Lesen in die Hand geben sollte, ist eine andere Sache. Eine vorherige Aufklärung zum geschichtlichen Hintergrund sollte hier Voraussetzung sein.
Fazit
Grundsätzlich sollte ein jeder anderen Menschen mit dem gleichen Respekt begegnen, den er selbst entgegengebracht bekommen möchte. Da verbietet sich die Verwendung eindeutig diskriminierender und stigmatisierender Begriffe von selbst. Bei vielen Ausdrücken ist die Abgrenzung jedoch nicht immer eindeutig und manchmal sehr subjektiver Natur. So kann bereits der Gebrauch neutral klingender Adjektive wie „dunkelhäutig“ oder „farbig“[31] dazu führen, dass sich andere dazu berufen fühlen, den mahnenden Zeigefinger zu erheben. Auch Nomen wie „Eskimo“ fallen in diese Kategorie. So wie ich mich nun selbst des Risikos aussetze, alleine durch die Verwendung des Wortes „Sprachpolizei“ und Kritik an dergleichen in eine Schublade mit Internet-Trollen gesteckt zu werden. Darüber darf man auf sachliche Weise diskutieren. Die sogenannte Sprachpolizei hat in Teilen ihre Daseinsberechtigung. Wenngleich das nicht immer in dem Maße der Fall ist, wie sie es selbst oft gerne hätte.
In Deutschland gibt es natürlich keine Zensur und im Grunde kann jeder sagen oder schreiben was er will, sofern er sich innerhalb des rechtlich Erlaubten bewegt. Jede Minderheit ist heute in der Lage, von ihrem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch zu machen und zu kommunizieren, wie sie bezeichnet werden will und wie nicht. Ein Mensch mit Anstand und guten Umgangsformen wird das zu respektieren verstehen. Ob sie dafür eine Armee von selbsternannten Sprachrohren brauchen, die vom heimischen Sofa aus reflexhaft virtuelle Ohrfeigen verteilen, das soll jeder für sich selbst bewerten. Das größte Problem der modernen Sittenwächter ist wohl, dass sie sich selbst so bitterernst nehmen. Hinter jeder Ecke vermuten sie das absolute Böse und selbst das letzte Quäntchen Interpretationsspielraum wird dem Gegenüber als verwerflich ausgelegt. Da will ich zum Abschluss noch mal den Meister Eder mit einer seiner zeitlosen Lebensweisheiten bemühen. Die gilt übrigens für beide Seiten.