Kaputt reguliert? Wie DSGVO & Co. das Netz verändern

Gerne erinnere ich mich an meine ersten persönlichen Berührungen mit dem Internet. Es war Mitte der Neunziger, als sich mir damaligen Jungspund mittels Einwahl-Programm von einer AOL-Gratis-CD und einem erbärmlich krächzenden 14.4K-Modem die grenzenlose Weite des World-Wide-Web eröffnete. Damals hatte das Ganze noch so einen aufregenden, ja beinahe mystischen Touch. Eine gefühlte Ewigkeit fieberte ich dem Moment entgegen, in dem der Verbindungsaufbau endlich vollzogen sein würde. Unter minutenlangen Ladezeiten konnte ich dann völlig unbeschwert die Peinigung des Sehnervs mit pink-türkis gehaltenen 256-Bit-Farben und Netscape-Browser im Windows-95-Stil, optimiert auf 800×600 Pixel genießen. Das war auch völlig in Ordnung, denn man kannte ja nichts anderes. Im Gegensatz zu heute war das wundervolle Medium Internet nämlich noch weit davon entfernt, kaputt reguliert worden zu sein.

Verblichene Erinnerungen an die 90er Jahre: Kaputt reguliert oder schlicht überholt?

Eine ganze Zeit lang ging das gut. Die Modems wurden schneller, irgendwann gab es dann ISDN. Das absolute Highlight war die Kanalbündelung mit 128 Kbits. Ich erinnere mich noch gut daran, als auf einer lokalen Messe an einem Stand der Telekom das erste DSL mit unglaublichen 768 Kbits präsentiert wurde. Auch das Design der Webseiten passte sich dem Zeitgeist an und wurde erträglicher für das Auge, die Auswahl an verfügbarem Content wuchs stetig wie rasant an. Plötzlich war jeder, der etwas auf sich hielt im Netz vertreten und HTML wurde zum heiligen Gral erhoben. Dann entdeckte die Politik das Internet für sich und die ersten Regulierungen und neuen Gesetze wurden auf den Weg gebracht. Das war anfangs auch gar nicht so schlecht und von „kaputt reguliert“ konnte man da noch lange nicht sprechen. Schließlich braucht jedes Konstrukt, das von Menschen genutzt wird und Bestand haben will, ein gewisses Regelwerk.

Früher war alles besser? Nicht unbedingt.

Dinge wie geistiges Eigentum müssen selbstverständlich geschützt und Beleidigungen geahndet werden. Auch das Verbreiten von verbotenen Dingen muss unterbunden, sowie die Täuschung von Verbrauchern verhindert werden. Natürlich sprang schnell eine ganze Heerschar an Winkeladvokaten und Schmierenjuristen auf den Zug auf, nach dem sie festgestellt hatten, dass sich mit dem Fehlverhalten von Homepage-Betreibern so richtig viel Geld verdienen lässt; ohne dafür wirklich arbeiten zu müssen. Da konnte sich der ehrenwerte Abmahn-Anwalt mit nur einem einzigen Brief ein stattliches Sümmchen dazu verdienen. Wenn die Leistungen im Studium schon nicht für ein anständiges Fach-Examen gereicht hatten, so konnte damit selbst der letzte Jura-Versager seine Nische finden, um reich zu werden. Ja, das hatte schon etwas von Goldgräberstimmung. Bis der Gesetzgeber auch dies eines Tages erkannte und dem gemeinschädlichen Treiben, zumindest in Teilen, einen Riegel vorschob.

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DSGVO-konform über Cookies informieren? Kein Problem! Quelle: Borlabs

Da konnte der gute Abmahn-Anwalt plötzlich nur noch hoffen, dass das verbliebene Kleingeld im Portemonnaie gerade so für einen anständigen Schluck Rachmaninoff bei Lidl reichte, um den sozialen Abstieg zu begießen. So hielten langsam auch Recht und Ordnung im bis dahin sehr wilden „Neuland“ Einzug. Mitte der 2010er Jahre, nach dem Abhörskandal, kam man dann auf den Trichter, in Europa den Datenschutz als Thema ganz groß aufzuhängen. Neue Gesetze kamen, jeder wollte plötzlich nur noch anonym surfen und die Menschen mussten vor bösen Dingen wie Cookies und Tracking beschützt werden. Aber das reichte alles noch nicht, denn irgendwie war dieses Internet immer noch zu frei. Schließlich ist Eigenverantwortung etwas, das man europäischen Bürgern seit je her nicht zugesteht. Im Mai 2018 trat deshalb die Europäische Datenschutz-Grundverordnung, kurz DSGVO, in Kraft. Das unbeschwerte Surferlebnis, wie wir es bis dato kannten, war damit endgültig Geschichte. Zumindest in Europa.

Kaputt reguliert: Die DSGVO gibt dem freien Surferlebnis den Rest

Nun sind jedermanns Daten geschützt wie Fort Knox und ich kann keine einzige deutschsprachige Homepage mehr aufrufen, ohne von penetranten Cookie-Consent-Bannern belästigt zu werden, die mir ungefragt vor das Gesicht springen. Auch ich selbst bleibe davon nicht verschont, wenngleich ich dabei versuche, dieses lästige Ungemach auf meinen Seiten möglichst dezent zu halten. Für Webseitenbetreiber ist es seither nur noch auf technisch aufwändigen Umwegen möglich, die Herkunft ihres Traffics valide wie legal auszuwerten und festzustellen, für welchen Inhalt sich die potenzielle Kundschaft am meisten interessiert oder über welche Kanäle sie auf die Internetpräsenz gelangt ist. Personalisierte Werbung wird dämonisiert und man braucht jetzt pro Person gefühlt fünf Einverständniserklärungen, um mit dieser überhaupt kommunizieren zu dürfen. Die IP-Adresse ist das intimste Geheimnis ever, Anonymität avanciert zum ultimativen Grundrecht und die digitalen Dienste von Unternehmen mit Hauptsitz in den USA sind der Teufel in Persona.

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Zeitgeist der Moderne: der anonyme Surfer.

Man will zwar weiterhin alle Vorteile dieser Technologien uneingeschränkt nutzen, jedoch nicht das Geringste dafür geben. Webseitenbetreiber stehen unter Generalverdacht, sich die Daten eines jeden einzelnen aus purer Geldgier zunutze machen zu wollen. Größere als ich sind natürlich noch stärker davon betroffen. Weil die Möglichenkeiten der Werbefinanzierung von Webseiten derart kastriert wurden, dass manchenorts das Kosten-Nutzen-Verhältnis infrage steht, schiebt sich jetzt auf jeder zweiten Nachrichtenseite eine Paywall vor den Inhalt. Neben Cookie-Walls, Push-Up-Nachrichten-Fenstern und insistierenden Chatbots fast noch das geringere Übel. Da ist man beinahe geneigt, sich die guten alten blinkend musizierenden Casino-Banner der 90er zurückzuwünschen, deren Sound ebenso ungefragt wie blechern aus dem Tischlautsprecher dröhnte. Die einst nach westlichen Werten hochgehaltene Informationsfreiheit im Netz wird zerhackt von einer Verordnung, die derart kompliziert und undurchsichtig ist, dass selbst echten Juristen mitunter nur hilfloses Achselzucken bleibt.

Manch einer wünscht sich nostalgische Zustände zurück

Das glorreiche Internet vergangener Tage gleicht nurmehr einem Flickenteppich an digitalen Schlaglöchern, rechtlichen Fallstricken und aufgrund der neuen Risiken verwaisten Webseiten. Es wurde kaputt reguliert könnte man fast sagen. Dass der Homepage-Betreiber vielleicht einfach nur den Content für seine Zielgruppe optimieren oder sein SEO verbessern möchte, ohne dabei irgendwelche bösartigen Hintergedanken zu hegen, darauf sind die Verantwortlichen der katastrophal umgesetzten Causa DSGVO augenscheinlich nicht gekommen. So werden zwischen dem Hobby-Blogger und dem milliardenschweren Versicherungskonzern auch kaum Differenzen gezogen. Erschwerend hinzukommt noch ein Föderalismus, bei dem jedes Land oder sogar jedes Bundesland das Gesetz anders für sich interpretiert. Wer Daten verwahrt oder diese nur auswertet, spielt mit dem Feuer. Wer auf seiner Webpräsenz ein Kontaktformular eingebaut hat, steht mit einem Bein im Knast.

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Ein Sinnbild für die Bürokratisierung des Internets.

Aber das wird schon seine Richtigkeit haben, denn in Deutschland, wie auch im Europaparlament entscheiden ja bekanntlich keine weltfremden und praxisfernen Marionetten über solche Themen, sondern nur echte Fachleute. Dass ein Großteil der so schwer beschützten User ihr Frühstück oder selbst die Farbe ihres Stuhlgangs öffentlich bei Facebook, Instagram & Co. posten und in jedem Raum ihrer Behausung eine Abhörwanze namens Alexa hängen haben, tut der amtlichen Regulierungswut keinen Abbruch. Dafür haben sie jetzt offiziell ein Recht auf Vergessenwerden. Den Betreibern von Homepages oder Webshops und auch den Surfenden selbst hingegen macht der ursprünglich sicher gut gemeinte Gedanke gehörig das Leben schwer. Wieder einmal mehr zeigt sich an dieser Stelle, dass das Gegenteil von gut eben nicht böse, sondern gut gemeint ist (frei nach Kurt Tucholsky).

Abschließendes Fazit

Natürlich bietet das Internet von heute wesentlich mehr Möglichkeiten als noch in den 1990er Jahren. Vernünftig funktionierende Webshops, Content-Management-Systeme oder das Self-Publishing steckten beispielsweise noch in den Kinderschuhen. Meiner Meinung nach sind die Schöpfer der aufoktroyierten europäischen Zwangsbürokratisierung jedoch weit über das Ziel hinausgeschossen. Der eigentlich gute Grundgedanke, den Menschen die Kontrolle über ihre Daten zurückzugeben, wurde gewaltig überzogen. Zumindest die NSA kann nun dank der DSGVO keines unserer Telefongespräche mehr abhören und auch keine unserer E-Mails mehr entschlüsseln. Mir habt ihr die Unbeschwertheit am Surfen genommen und ich hätte sie gerne zurück. Da muss man sich doch fast zwangsläufig die Frage stellen: Wie viel Regulierung brauchen wir eigentlich?

Die grotesken Auswüchse der DSGVO: Einem Nutzer wurden 100 € Schmerzensgeld zugesprochen, weil der Webseitenbetreiber Google-Fonts eingebunden hatte.