Das Problem mit der Sichtbarkeit

Warum Selfpublisher oft unsichtbar bleiben

Sichtbarkeit ist alles, heißt es. Ohne Reichweite keine Leser, ohne Leser keine Relevanz, ohne Relevanz keine Karriere. So weit, so kapitalistisch. Und darum scheint die größte Angst vieler Autorinnen und Autoren nicht mehr das Scheitern zu sein, sondern vielmehr das „Übersehenwerden“. Also ackern sie für Algorithmen, tanzen für Klicks auf Instagram & Co. und veröffentlichen Posts, die mehr Ausrufezeichen als Sätze enthalten.

Dabei wird gerne übersehen, dass Sichtbarkeit nicht gleichbedeutend mit Wert ist. Sie ist ein Messwert und kein Maßstab. Wer laut schreit, wird gehört – wer sich auf das Schreiben konzentriert, vielleicht nicht. Besonders Selfpublisher spüren das: Sie schreiben, layouten, veröffentlichen, gestalten Cover, kümmern sich um Buchsatz, Werbung, Versand und Website. Am Ende sagt der Algorithmus dann nur: „Zu wenig Engagement.“ Das klingt fast wie ein Verlag, nur ohne Vorschuss. Denn zur traurigen Wahrheit gehört: Qualität bringt keine Klicks, sondern schöner Schein, Empörung und Drama. Ein Prinzip, das man beispielsweise in der sogenannten BookTok-Bubble perfektioniert hat.

Der Buchhandel liebt die Vielfalt – solange sie sich ins Regal fügt

Kleinverlage gelten als charmant, Selfpublisher dagegen als verdächtig. Wer keinen Verlag hat, gilt schnell als Amateur, obwohl die Unterschiede längst fließend sind. Manche Indie-Autoren produzieren professioneller als Verlage, die sich noch an Faxgeräte klammern. Nur: Im Feuilleton kommt davon nichts an. Sichtbarkeit braucht Kontakte, nicht Qualität. Vitamin B ist entscheidend; ein Mangel daran kann für die Karriere tödlich enden. Man kann sich Sichtbarkeit natürlich erkaufen – in Form von Anzeigen, Paketen und Platzierungen. Für viele Hobbyschreiber ist das jedoch ein teures Draufzahlgeschäft.

Sichtbarkeit

Die Realität der Moderne: Lärm überstrahlt Inhalt.

Unsichtbar schreiben – ohne Erwartungsdruck

Aber nicht alles, was wie ein Nachteil klingt, ist zwingend einer. Unsichtbarkeit hat auch etwas Befreiendes. Wer keine Erwartungen erfüllen muss, darf schreiben, was er will. Keine Zielgruppenanalyse, kein Diversity-Check, kein „Pitch Deck für den Buchhandel“. Nur Text und Inhalt. Eben das, was man wirklich sagen möchte.

Das ewige Heilsversprechen der Sichtbarkeit

Und dann ist da noch die andere dunkle Seite: Selfpublishing ist ein Haifischbecken aus Ratgebern, Coachings und „In zehn Schritten zum Bestseller“-Kursen. Auch hier wird Sichtbarkeit verkauft wie ein Heilsversprechen. Die Branche hat längst gelernt, wie man das Unabhängigkeitsgefühl monetarisiert – und reproduziert dabei ironischerweise genau die Strukturen, von denen sie eigentlich befreien wollte.

Im Schatten ist es manchmal ehrlicher

Vielleicht ist es an der Zeit, Unsichtbarkeit wieder als Qualität zu begreifen. Ein Buch muss nicht „performen“. Es darf einfach nur existieren. Die wahren Leser finden es – irgendwann. Nicht, weil es ihnen ein Algorithmus vorschlägt, sondern weil sie wirklich danach suchen.

Fazit: Sichtbarkeit ist schön. Aber manchmal hat es auch Vorteile, im Schatten zu schreiben.

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