Wer sich dieser Tage die dominierenden Schlagzeilen zu Gemüte führt, dem dürfte Angst und Bange werden. Von Inflation, Rezession, neuen tödlichen Virusvarianten[1], Klimawandel und Kriegsverbrechen[2] ist da unter anderem die Rede. Aktienkurse springen wie die Sinuskurve eines 80-jährigen Oligarchen, der im Rückabteil eines Krankenwagens gerade mit elektrischer Kraft wiederbelebt wird, während russische Panzer ukrainische Zivilisten aus ihren Wohnhäusern schießen. Ganz beiläufig erklingt das Ächzen des deutschen Michels über hohe Sprit-, Gas- und Lebensmittelpreise, das die seit einer Dekade von exorbitant steigenden Immobilien- und Mietpreisen geplagten Gemüter nun endgültig zu erdrücken droht. Dazu gesellen sich noch Lieferengpässe, die das Potenzial besitzen, bei ehemaligen Bürgern der DDR Flashbacks auszulösen. Das Böse ist zurück und das mit Wucht. Gerade scheint eine regelrechte Renaissance des Schlechten zu erstarken. Und das ausgerechnet jetzt, wo doch die Masken fallen und wir langsam wieder leben dürfen.
War die Welt schon immer so schlecht oder ging es uns bisher einfach zu gut? Nein, das sind keine Themen über die ich als Autor gerne Bücher schreiben würde. Es sind absolute Scheißthemen, die ich gerne verdrängen würde. Mit der Strategie des Verdrängens habe ich irgendwann Mitte 2020 angefangen. Das war, als mir das gebetsmühlenartige Heruntergeleiere von Infektionszahlen und das ständige politische Gelaber über noch härtere Maßnahmen schlicht zu viel wurden. Nachdem ich den ganzen Mist abgeschaltet und von da an konsequent ausgeblendet hatte, ging es mir schlagartig besser. Ich machte mein Ding, durchlebte kreative Schaffensphasen und einsame Radtouren durch die bayerische Wildnis. Die Familie rückte in den Fokus und meine Kochkünste verbesserten sich erheblich. Anstatt gesellschaftlichen Erwartungen gerecht zu werden und von Pontius zu Pilatus zu eilen, gabs einfach nur ein kühles Bier auf dem Balkon. Irgendwie war sie doch entspannt, diese Zeit.
Renaissance des Schlechten: Ist es wirklich so schlimm?
Der Mensch passt sich an. So lernte man, in einer seltsam gewordenen Welt voller abgesperrter Spielplätze, Plexiglasscheiben, Hamsterkäufern und vergrämten Visagen hinter Masken irgendwie zurecht zu kommen. Irgendwann würde es schon wieder besser werden. Aber das wurde es nicht, denn die Renaissance des Schlechten schien gerade erst Anlauf zu nehmen. Es folgten Wetterkapriolen, Hochwasser und ein querstehendes Frachtschiff im Suez-Kanal, das die Weltwirtschaft zum Erliegen brachte. Im Mittelmeer ertrinkende Flüchtlinge, das Auftreten neuer Corona-Varianten und die stumpfe Unfähigkeit der Politik nahm man da nur noch beiläufig wahr. Kurz, nachdem man alles aufgesperrt hatte, sperrte man es jetzt wieder zu und das ganze Theater ging von vorne los. Erneut gingen Pflegenotstand und ein Gesundheitssystem kurz vor dem Exitus durch die Medien. Gastronomen und Friseure bangten um ihre Existenz, eine Schreckensmeldung jagte die nächste.
Die Menschen teilten sich in Lager. Impfbefürworter warfen mit Bestrafungsfantasien gegen Ungeimpfte um sich, Querdenker bekriegten sich mit der Antifa und beide mit der Polizei. Verkaufspersonal wurde erschossen, weil es auf die Einhaltung der Maskenpflicht pochte[3]. All das ebbte dann jedoch schlagartig ab und die Medien berichteten fortan gefühlt nur noch über Krieg. Somit war eine Katastrophe durch eine noch größere abgelöst worden; zumindest aus europäischer Sicht. Ein Größenwahnsinniger mit dem drohenden Finger am roten Knopf seines Atomwaffenarsenals, der einem Staat auf der Basis eines verzerrten historischen Weltbilds[4] kurzerhand die Souveränität aberkannt hatte, um die dortige Bevölkerung mit seinem Terror zu überziehen, sollte fortan die gewohnte Ordnung auf den Kopf stellen. Aber natürlich, das gab es alles schon mal. Schließlich wurde die Menschheit seit je her in regelmäßigen Zeitabständen von Seuchen[5] heimgesucht und auch die letzte Weltfinanzkrise scheint inzwischen fast vergessen zu sein.
Die Wahrheit ist: das Schlechte war nie weg.
Ich erinnere mich noch, als zu meiner Schulzeit über die Jugoslawienkriege berichtet wurde. Als man Männer und Jungen ermordete, weil sie der falschen Ethnie angehörten, Häuser und die Leichen ihrer einstigen Besitzer verminte, Frauen vergewaltigte und Granaten in Wohngebiete schoss[6]. Einzig die atomare Bedrohung war damals nur eine abstrakte, die irgendwo im Hintergrund des weit entfernten Russlands schwelte. Es folgte der Irakkrieg auf der Grundlage erfundener Massenvernichtungswaffen[7], der im Nachgang zahlreiche unschöne Enthüllungen von Kriegsverbrechen durch US-Amerikaner[8] zutage fördern sollte. Das tangierte uns jedoch nur am Rande. War ja schließlich weit weg und den Amis kann man doch nicht wirklich böse sein. Die machen nämlich so tolle Filme[9] und haben uns den American Way of Life gelehrt.
Warum wir den Russland-Ukraine-Krieg als besonders schlimm empfinden
Ähnlich verhält es sich beim Syrien-Krieg, in dem russisch-tschetschenische Söldnertruppen einmal mehr für das Abschlachten von Menschen bezahlt wurden[10]. Auch das nahm man so nebenher zur Kenntnis. Hier und da mal ein kleiner medialer Aufschrei, aber im Grunde betraf uns das nicht wirklich. Nun der Krieg in der Ukraine, durch den wir erstmals selbst die damit einhergehende Bedrohung und die wirtschaftlichen Folgen so richtig zu spüren bekommen. Das erklärt die hohe Präsenz in den Medien. Immerhin die Solidarität ist groß mit den Geflüchteten. Vermutlich deshalb, weil es überwiegend Frauen, Kinder und Alte sind, die zu uns kommen. Oder weil uns die Ukrainer kulturell näher stehen als Araber, Afrikaner oder Afghanen.
Entsprechend größer ist auch die berechtigte Empörung, die man bei den Berichten über die unermüdliche Barbarei an der dortigen Zivilbevölkerung empfindet. Manche würden das wohl als Doppelmoral bezeichnen. Andere gehen noch weiter und sagen, die Ukrainer wären selbst nicht ganz unschuldig an dem Ganzen. Ich persönlich tendiere dazu, eher mit dem Verteidiger als mit dem Angreifer zu sympathisieren. Abgesehen davon, dass Kriegsverbrechen niemals zu relativieren sind, ist es für den normalen Menschen ohnehin kaum mehr nachvollziehbar, was man noch glauben kann und was nicht. Gleich wer diesen unmenschlichen Konflikt für sich entscheidet; es wird am Ende nur Verlierer geben. Nein, von einer Renaissance des Schlechten kann nicht die Rede sein. Eher von einer erhöhten medialen Aufarbeitung aufgrund geografischer Nähe und wirtschaftlicher Interessen.
Vieles haben wir selbst in der Hand
Und natürlich aufgrund der fatalen Symbolwirkung in Bezug auf unser Verständnis von Freiheit, wenn Russland diesen wahnsinnigen Krieg gewinnen sollte. Hier können wir nicht viel ausrichten, denn das Risiko eines Atomschlags wird sich niemand aufbürden. Die Lösung der anderen Probleme haben wir hingegen selbst in der Hand. Das beginnt beim verantwortungsvolleren Umgang mit Ressourcen oder damit, die Produktion wieder nach Deutschland zu holen und endlich von der Erwartungshaltung an unbegrenztes Wirtschaftswachstum wegzukommen. Oder damit, einfach weniger egoistisch zu denken und zu jammern. Sich bewusst zu machen, dass es uns trotz steigender Kosten noch immer verdammt gut geht. Einmal aus der eigenen Komfortzone herauszutreten wäre ein Weg.
So wie ich es geschafft habe, mir diesen Text hier abzuringen, obwohl Themen wie Politik und Weltgeschehen mal überhaupt nicht meine Baustelle sind. Schreiben ist nach wie vor einer der besten Wege, um Wut zu kanalisieren. Vielleicht bekommen wir es ja auch gemeinsam hin, eine Renaissance des Guten zu erschaffen. Was die Nachrichten betrifft: die waren schon immer vom Schlechten und von endlosen Negativmeldungen dominiert. Deshalb tut man gut daran, sich einfach weniger davon reinzuziehen.